Island

Das Heim der Berserker

 

 

Außerhalb von Reykjavik wird der Verkehr sehr dünn. Der Weg nach Borgarnes im Westen von Island führt über die asphaltierte Ringstraße, die die Küstenorte verbindet. Nur gelegentlich kommt uns ein Auto entgegen, dann ist es einer dieser riesigen, hochbeinigen Geländewagen mit walzenförmigen Reifen, die die Isländer so lieben. Bei einer solchen Begegnung ist es besser, man hält sich dicht am Straßenrand, denn wenn eine Bö den Wagen erfasst und gegen solch ein Kraftpaket drückt, hat man schlechte Karten.

Eigentlich kaum noch welche.Borgarnes, eine Autostunde von Reykavik entfernt, liegt an der Spitze einer Landzunge. Durch einen schmalen Wasserlauf ist es von einer vorgelagerten Insel getrennt. In der Egil-Saga war dies der Ort, an dem die Sklavin Brak auf der Flucht vor Skalla-Grim, einem Wüterich und Berserker, ins Meer sprang. Skalla-Grim warf ihr einen großen Stein hinterher und traf sie zwischen die Schultern. Weder sie noch der Stein kamen später wieder nach oben. Die Stelle wird jetzt Brakarsund genannt.  (94) 

In Borgarnes fahren wir zum so genannten  Landnahmezentrum.  An den Felsen einer kleinen Bucht gedrückt, besteht das Museum, das die Besieldung Islands schildert, aus zwei kleinen Gebäuden.


Im 9. Jahrhundert trafen die ersten Siedler aus Norwegen kommend auf Island ein. Ein Display in der Ausstellung zeigt im Modell, wie die Schiffe der Emigranten wohl ausgesehen haben: breite Holzfahrzeuge mit Klinkerbeplankung über dem massiven Kiel, ein Mast und ein Seitenruder. Bis zu einhundert Personen waren an Bord, dazu noch die Haustiere, die man wohl meist als Jungtiere mitgenommen hat, weil es sicherer war und weniger Platz brauchte. Die Menschen schliefen irgendwo zwischen Gepäck und Viehzeug.

 

Auf die Idee, dieses Landnahmezentrum aufzubauen, kam Kjartan Ragnarsson. Ragnarsson ist ein bekannter Dramatiker und Regisseur, der sowohl am Stadt- wie auch am Nationaltheater in Reykjavik große Erfolge eingespielt hat unter anderem mit Dramatisierungen von Romanen von Haldor Laxness.


Wenn sommers in den Theatern nichts zu tun war, begleitete Ragnarsson Touristen auf Pferdetrecks über die Insel. Solche Touren dauerten ungefähr eine Woche. Abends wurde es im Lager oft langweilig, bis Ragnarsson als gelernter Schauspieler anfing, Sagas vorzutragen, die in der Landschaft spielten, die sie tagsüber durchritten hatten. Er merkte schnell, wie stark das Interesse der Reiter an diesen Geschichten war und das schien nur verständlich, denn – Ragnarsson zitiert den Dichter Tómas Gudmundsson: „Eine Landschaft bedeutet nichts, wenn sie keinen Namen hat“ – will sagen: Ohne Geschichte ist ein Ort bloß Gegend.

Und ohne die Geschichte der Landnahme sind die Sagas nur Heldenstories (im besten - und Namenslisten im schlechtesten Fall.) Also musste Ragnarsson er erst die Geschichte der Landnahme schildern, denn daraus beziehen die Sagas ihren Stoff.

Zum Beispiel die Saga von Egil Skalla-Grimsson, die in der Umgebung des Landnahmezentrums spielt: Egil ließ im vorderen Teil der Landspitze einen Grabhügel errichten. In diesem wurden Skalla-Grim, sein Pferd, seine Waffen und sein Schmiedewerkzeug gelegt. Es ist nicht bekannt, dass Geld zu ihm gelegt wurde. (158)     Ragnarsson beschloss, in Borgarnes das Landnahmezentrum zu errichten. Aus dem Theatermann wurde ein Unternehmer. Eigentlich nicht erstaunlich, erklärt uns Ragnarsson, das sei doch wie im Beruf eines Regisseurs: Man entwickelt eine Idee und schlägt sich so lange mit Leuten herum, bis man sie auf der Bühne verwirklicht hat. 2006 wurde das Museum eröffnet.

Im nächsten Raum steht ein plastisches Modell der Insel. Mit Leuchtdioden sind die weit auseinander liegenden Punkte entlang der Küste markiert, an denen sich die ersten Siedler niedergelassen und die Insel erschlossen haben.

Ein dreidimensionales Modell der Region um Borgarnes schildert im Detail an Ablauf der Besiedlung: Ausgehend vom Landungspunkt des Schiffes entstehen zunächst die Wohn- und Arbeitshäuser für die Aufzucht der Herden, den Fischfang, die Jagd zu Land und zu Wasser.
Dann folgen die Bezeichnungen der Flüsse, z.B. der Weiße Fluss, weil die Männer aus Norwegen noch nie einen Gletscherbach gesehen hatten. Unweit...  schnitt eine kleine Bucht ins Land ein. Dort fanden sie viele Enten und nannten sie Andakil, Entenbucht, und den Fluss, der dort ins Meer mündete, Andakilsa, Entenbuchtfluss. (70) Punkt für Punkt erschließt sich die Inbesitznahme und Funktionszuweisung des Landes, so, wie sie in der Egil-Saga beschrieben wurde.

Im Kellergeschoss des Museums wird die Saga mit kraftvoll geschnittenen Holzfiguren in Lebensgröße erzählt, unter dem Dach befindet sich – Ragnarsson hat seine Leidenschaft nie abgelegt – ein kleines Theater, in dem die Sagas erzählt werden.

Die alten Überlieferungen enthalten relativ genaue Namens- und Ortsangaben, denn sie sollen nicht nur Spannung vermitteln, sondern auch die Erinnerung an die Besiedlung des Landes aufrechterhalten. So lassen sich – mit eingeschränkter poetischer Genauigkeit - die Orte bestimmen, an denen diese Geschichten voll Mord und Totschlag und Dichtkunst spielten. Dafür können wir im Landnahmezentrum einen so genannten Smartguide ausleihen. GPS-gesteuert führt er uns zu den markanten der Landschaft, wo wir, schaudernd im Wind, der vom Meer kommt, einige der Episoden um den Krieger-Dichter Egil Skalla-Grimsson durchleben, der, wenn es darauf ankam, ein rechter Berserker sein konnte.

Natürlich hat das Landnahmezentrum auch eine Cafeteria. Dort wird eine isländische Spezialität angeboten, der Gammelhai, die kulinarisch in die Zeit zurückführt, als ein furchtloser Wikingerkrieger respektvoll ein Berserker genannt wurde. Die traditionelle Zubereitung der Wikingerfreude besteht darin, dass man das tote Tier eingegraben einige Monate lang verrotten lässt. Wenn es dann jenen geschmackvollen Grad der Zersetzung erreicht hat, der den Gourmet im Berserker entzückt, kommt es auf den Tisch der Cafeteria: In einer kleinen Schale liegen weißliche Appetithäppchen und duften.

Haie scheiden keinen Urin aus. Diese Eigenart verleiht der Delikatesse eine strenge Ammoniaknote, oder anders: Nach wenigen Minuten riecht es in der Cafeteria wie auf einem Schützenfest hinterm Männerzelt.

Besser sei es, wenn man sich die Nase zuhalte, sagt man uns:  Die Konsistenz des Gammelhais erscheint ein wenig wie Oktopus, der Geschmack ist scharf und fischig und nicht eigentlich unangenehm, so lange man nicht weiß, was danach kommt.

Zunächst einmal stellt sich die angekündigte gesundheitsförderliche Wirkung ein: Wir bekamen endlich warme Füße. Aber der Preis war hoch: Noch bis zum nächsten Tag drang uns beim Ausatmen das stechende Aroma von Stoffwechselprodukten in die Nase.

Wir fürchten, wie riechen wie sagenhafte Berserker.

           

The Settlement Centre

Brákarbraut 13 – 15

310 Borgarnes, Island

tel + 354 437 1600

email: landnam@landnam.is

www.landnam.is

Öffnungszeiten:

Ausstellungen

Sommer:1. Juni – 31. August, täglich 10.00 – 19.00 Uhr
Winter: 1.  Sept – 31. Mai, täglich 11.00  – 17.00 Uhr

Restaurant

Sommer: 1. Juni - 31. September, täglich 10.00 - 21.00 Uhr

Winter: 1. Oktober - 31. Mai, Montag - Donnerstag 11.00 - 17.00 Uhr, Freitag - Sonntag 11.00 - 21.00 Uhr

Das Zentrum kann - nach Vereinbarung – auch außerhalb der Öffnungszeiten für Gruppen oder Schulklassen geöffnet werden.

Kontakt mobil: 895 5460

 
Ganzjährige Icelandair-Direktflüge von Frankfurt/Main.

Im Sommer auch ab Hamburg, Berlin und München.

Kurzreisen ab 299 EUR und Flugangebote unter www.icelandair.de Tel. 069-299978


Die Saga von Egil Skalla-Grimsson

in:

Sagas aus Island

Von Wikingern, Berserkern und Trollen

Aus dem Altnoprdischen übers. und hrsg. von Rudolf Simek und Reinhard Henig

Philipp Reclam Verlag 2011

 

© Paul Stänner